Reisebericht „Unbekannte Donau“ - Teil 2

Reisebericht „Unbekannte Donau“ - Teil 2

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Kunst und Kultur – Geschichte und Geschichten
Das Bildungsprogramm neben dem Radeln war vielversprechend, voller Abwechslungen und voller origineller Ideen. Da waren Rundgänge durch die drei Metropolen Budapest, Belgrad und Bukarest. Jede eine stolze Hauptstadt, gezeichnet von wechselvoller prächtiger und auch leidvoller Geschichte, von Pracht und Eleganz. Die Zeiten haben sich geändert: Ich verspüre Aufbruch, neuen Lebensmut, Zuversicht und den modernen Lebensstil der jungen Generationen.
Ich bin noch drei Tage in Bukarest geblieben - die prächtigen Plätze, die mondänen Boulevards, die Parks, das Nationalmuseum für Geschichte und die zahlreichen Denkmäler bewundert.

Eine Ausstellung zum Horror des ersten Weltkrieges im Nationalmuseum hat mich erschüttert, mir die Freundschaft zwischen Rumänien und Frankreich verständlich gemacht. Die Franzosen sind den Rumänen gegen die Deutschen beigestanden, daher ein Triumphbogen in Bukarest am Platz der Freiheit. Französische Architekten haben der Stadt ein französisches Flair und den Pariser Charme geschenkt.

Die orthodoxen Kirchen gefallen mir, das sanfte warme Licht, viel Gold und Blau in den Ikonen. Man sitzt nicht wie in einer Schule auf einer Bank, man steht zusammen im Kreis, blickt nach oben in die Lichtkuppel und singt. Gott ist nicht anonym, so fern, so unerreichbar, er ist unter uns, in jedem. Wenn junge Burschen in Jeans und Polohemd mit fester Stimme singen, ist das zwar komisch, aber es sind die zukünftigen orthodoxen Priester. Geht also doch.

Mich begeistert die Archäologie. Und auch da bin ich auf meine Kosten gekommen. Es sind natürlich EU-Gelder, die archäologische Ausgrabungen finanziell möglich machen. Kostet viel Geld und viel Zeit. Aber gut. Was bringt Archäologie? Schwer zu beantworten – muss sie etwas bringen? Vielleicht eine Erweiterung unseres Bewusstseins vom Sein, vom Vergehen, von der Evolution unseres Menschengeschlechts? Woher kommen wir Menschen – was tun wir hier und wohin streben wir? Viele Fragen. Wenn man sie denn stellen will.

Man hat eine Kultur am Donaugrund ausgegraben. In Serbien – Name vergessen.
Ein futuristisches elegantes Gebäude mit geschwungenem Dach und großem Ausstellungsraum. Habe schon in viele Vitrinen in südlichen Ländern geschaut, habe irgendwie einen Blick, ein Gespür für die ausgegrabenen Kulturen, ihren Stand, ihre Entwicklung und ihr vermutliches Ende. Es ist wie Gerichtsmedizin. Und was fällt dir auf, Hans, so als Zahnarzt? Fragt Michail. Meine Antwort: Tolle Gebisse, ohne Fehlstellungen, wahrscheinlich gute Zahnärzte und gute Ernährung.
Das Alter der Menschen wurde auf ca. 50 - 60 Jahre errechnet – und eine Besonderheit: keine Knochenfrakturen, keine Waffen, keine Hinweise auf Gewalt, ihre Körpergröße ca. 160 - 180 cm. Die Kultur soll 2000 Jahre gelebt haben. Das ist außergewöhnlich, sage ich zu Michail.

Die großen Menschheitskulturen, mit denen ich vertraut bin, haben nicht mehr als tausend Jahre geschafft. Sie zerfallen von innen, wenn die gemeinsamen Strukturen den Bedürfnissen der sich entwickelnden Menschen nicht mehr gerecht werden können, wenn ursprüngliche Wertsysteme in sich kollabieren und nicht mehr gelebt werden können, wenn die Zeit über sie hinausragt. Schade nur, dass sich Geschichte wiederholt, ohne dass wir es bemerken oder wahrhaben wollen.

In der Nähe der Schwarzmeerküste besichtigen wir die Ausgrabungen einer versunkenen Hafenstadt mit reichen Handelsbeziehungen in den Mittelmeer- und Schwarzmeer-Raum, hinüber in die Türkei, nach Griechenland, Europa, in den Nahen Osten bis ins ferne Asien. Der Handel als ein kulturschaffendes belebendes Element unter den Völkern... wie ist das heute? Da kann man darüber nachdenken.

Die Frage nach dem Sinn von archäologischen Ausgrabungen stellt sich nicht bei den Hügelgräbern von Svesthari. Die Kultur der Thraker, hoch entwickelt. Auch sie ist verschwunden. Sie ist immerhin Anregung für Wagner, Steiner und Nietzsche gewesen. Eine grandiose Synthese zwischen Physis und Metapyhysis, zwischen Natur und Göttlichkeit, eine beeindruckende Schönheit, die uns in Staunen versetzt. Mir fällt Nietzsche ein: „Das Leben und das Sein sind nur durch das Ästhetische gerechtfertigt […] im Ästhetischen offenbart sich das Göttliche im Menschen.“

Anders sind meine Eindrücke im Moltke Museum oder am Donauufer in Novi Sad, in Belgrad auf der Burg: Hier geht es um Krieg, Kriegshandwerk und Kriegskunst und Kriegsverbrechen. Immer hört man von Auseinandersetzungen mit den Osmanen, Kriege unter den Balkanvölkern, von den Gräueln der Nazis und den sinnlosen Bombardierungen der NATO in Novi Sad. Was haben diese Menschen schon alles ertragen müssen? Doch in Novi Sad und anderswo haben sie nicht aufgegeben und wieder von vorne angefangen. Schön ist Novi Sad.

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